Die Opposition spricht bezüglich des Armuts- und Reichtumsberichts von einer Fälschung, weil nachweislich allzu deutliche Passagen entfernt, abgemildert oder umgetextet wurden. Den herangezogenen Vergleich mit der Praxis totalitärer Staaten hätte man aber besser weggelassen.
Schon seit Monaten wurde über den Inhalt des Armuts- und Reichtumsbericht diskutiert und gestritten. Jedes Ressort durfte seine Streichungsvorschläge dazu abgeben und was am Ende herauskam, war die geschönte Version der Wahrheit.
Ursprünglich hatte der Text beispielsweise festgestellt, dass Menschen mit niedrigen Einkommen immer weniger Geld in der Tasche haben. Das Gerechtigkeitsempfinden in der Bevölkerung sei dadurch gestört. Doch das wollte die Bundesregierung nicht gesagt haben und strich die Passage. Dummerweise waren aber die ersten zwei Fassungen des offiziellen Armuts- und Reichtumsberichts bereits vor dem Erscheinen des endgültigen Berichtes publik geworden – und so konnte man direkte Textvergleiche anstellen.
Tatsächlich fiel an etlichen Stellen ins Auge, dass bitte Wahrheiten der Erstfassung zunehmend geschönt oder umgedeutet wurden. Vor allem das Bundeswirtschaftsministerium unter Philipp Rösler hatte Anteil daran, dass der ursprüngliche Text redigiert wurde. Die Regierung verwies darauf, dass die Abstimmung mit anderen Ressorts ein normaler Vorgang sei.
Unabhängig von den unbestreitbaren Tatsachen wurden die Medien nun hellhörig und unterfütterten die hitzige Debatte mit Begriffsverdrehungen, inhaltlichen Verkürzungen und Spekulationen. Fakt ist: Die ärmeren Bevölkerungsschichten besitzen tatsächlich nur ein winziges Prozent des angehäuften Nettovermögens. Hingegen gehört den wohlhabenden zehn Prozent der Bundesbürger mehr als 50 Prozent des Nettovermögens. Die Verteilung des deutschen Privatvermögens ist tatsächlich im Ungleichgewicht.
Die meisten Menschen mit niedrigen Verdiensten können kein Vermögen mehr bilden. Im ersten Armutsbericht wurde dieser Umstand noch unmissverständlich dargestellt und statistisch verdeutlicht. Die Statistik blieb in der Endfassung erhalten. Nur die Bewertung der Bundesregierung fiel abgemildert aus. Man wollte wohl keine Steilvorlage für die Oppositionsforderung nach einer Vermögenssteuer abgeben, indem man zugegeben hätte, dass Vermögen sehr ungleich verteilt ist. Man muss sich fragen, welchen politischen oder wirtschaftlichen Nutzen es hat, wenn man einen Armuts- und Reichtumsbericht erstellt, dessen Fakten man dann schönt.
Die Antwort ist einfach: Man muss als Gesetzgeber nicht handeln, um die Lage für die Benachteiligten zu verbessern. Dumm ist allerdings auch der Vergleichszeitraum zwischen 1998 und 2008. Der fällt nämlich auch in eine Zeit, in der die SPD an der Regierung war. Somit müsste die derzeitige Opposition eigentlich ganz still sein, weil sie anscheinend auch nichts an dem Ungleichgewicht geändert hat.
Dass der Armuts- und Reichtumsbereich geschönt wurde, mag ein Skandal oder Alltagspraxis in der Politik sein. Skandalös ist aber auch die Unehrlichkeit der Politiker aller Parteien im Umgang mit dieser Tatsache. Der öffentliche Aufschrei lässt die Lebenswirklichkeit vieler Deutscher nicht deutlicher werden. Was der Armuts- und Reichtumsbericht für einzelne Familien, allein erziehende Frauen oder Arbeitslose bedeutet, verschwindet hinter wahltaktischen Wortgefechten und Schönrederei.
Nach Kurt Schuhmacher (SPD) beginnt Politik mit „dem Betrachten der Wirklichkeit“. Davon ist die Politik in Deutschland meilenweit entfernt. Jede Partei erschafft ihre eigene Wirklichkeit. Das Herumlavieren um die soziale Schieflage verhindert außerdem, dass sich zukünftig etwas ändert. Niedriglöhne, Langzeitarbeitslosigkeit, berufliche Perspektivlosigkeit, Rentnerarmut und notwendige staatliche Aufstockung, wo das Gehalt nicht mehr ausreicht, stellen Fakten dar, an denen nichts zu schönen ist. Dass man es trotzdem versucht, sagt alles.
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